Ob ihr es glaubt oder nicht: Gitta und ich lesen eigentlich keine Wanderbücher (mehr). Wir haben zwar ein paar Klassiker daheim, z. B. Münchner Hausberge von Michael Pause oder Bayerische Hausberge von Heinreich Bauregger, aber für unsere Touren reichen meist Google oder Open Street map. Wir profitieren von unserer Ortskenntnis, dem Internet und lassen uns von anderen Bloggern begeistern. Wie spannend es sein kann, auch mal wieder analoge Informationsformate zu lesen (Bücher ;-)) , merkt man, wenn man seinen Gewohnheiten ändert. Das Buch „Mystische Pfade – Bayerische Hausberge“ vom Bruckmann Verlag hat mein Interesse geweckt. „Hausberge“ und „Mystik“ sind schon zwei ganz fiese Schlüsselbegriffe, wo man ganz stark sein muss um nicht neugierig zu werden. Darum habe ich beim Verlag angefragt und um ein Rezensionsexemplar gebeten, was man mir auch freundlicherweise kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Also den Rechner zugeklappt, das Licht gedämpft, ein Kissen unter den Kopf geschoben und eine Tafel Schokolade aufgebrochen.
Versprochen werden 35 Wanderungen zu Geschichten und Traditionen
Wanderbücher sind nicht nur Wanderbücher. Zumindest nicht wenn ich eines in die Hand bekomme. Die Bücher müssen in erster Linie Lust auf eine Wanderung machen. Ich erlebe die Tour wie sie sein könnte bereits meinen in meinen Kopf. Schöne Fotos und stimmige Beschreibungen aktivieren das limbische System. Die Anzahl 35 appellieren in diesen Fall an die Ratio, dass bei dieser Anzahl schon was Interessantes dabei sein wird. Schafft es das Buch mich nicht nur zu interessieren, sondern auch, mich mit ihm weiter auseinanderzusetzen?
Der Autor vor der Kerze
Da ich außer Pause und Bauregger keine Buchautoren namentlich kenne (nur Blogger) musste ich über den Michael Kleemann nachrecherchieren. Der Heilerziehungspfleger arbeitet beim Bund-Naturschutz-München als Wanderführer. Neben geführten Wanderungen hat er mittlerweile schon einige Buchprojekte umgesetzt. Wer hauptberuflich Wanderführer ist, kennt sich aus. Er scheint auch eine mystische Ader zu haben, da er die Wanderungen „Nachts vor einer Kerze sitzend“ sofort nach der Tour aufgeschrieben hat, um die „Schwingungen“ aufs Papier zu bringen. Autosuggestion braucht es bei diesem Buchprojekt bestimmt eine Menge.
Erster Eindruck: Kobolde im Wald
Das Buch gilt mit seinem angenehmen Soft-Cover als Taschenbuch. Der Einband fühlt sich angenehm samtig an. Das zeitlose Bild eines Waldweges mit Lichtstrahl weckt erste mysthische Assotiationen. Vielleicht kommt hier gleich Kobold oder eine Pestjungfer des Weges. Mit dem Layout orientiert man sich an bewährtem und professionalen Standard: Durchnumerierte Wanderungen, knackiger Titel und emotionalisierte Kurzbeschreibung. Die Fotos sind vorwiegend freundlich und nicht mystisch dunkel. Herausragende Bilder wie vom Titel wird man auf den weiteren Seiten vermissen, die man vom Charakter als gut bzw. authentisch bezeichnen kann. Ausnahmen bestätigen die Regel. Insgesamt ein freundlicher und animierender Auftritt.
Die Touren: Hausberge von oben oder unten
Auf der ersten Umschlagseite finden sich alle 35 Touren auf einer Übersichtskarte. Farblich abgegrenzt lassen sich leichte, mittlere und schwere Wanderungen schnell von einander unterscheiden. Die Beschreibungen beginnen im Werdenfelser Land und ziehen sich weiter über die Tegerneer und Schlierseer Berge, die Wendelsteingruppe, Kaisergebirge mit Rofan, die Chiemgauer Alpen bis ins Berchtesgadener Land.
Im Inneren: Durchnummerierte Wanderungen, Knackiger Titel und emotionalisierte Kurzbeschreibung. Servicespalte mit allen Fakten zur Tour auf einen Blick, wie zum Beispiel die GPS-Daten des Startpunktes, Anfahrtbeschreibung, Dauer oder Einkehrmöglichkeiten. Praktisch ist der Kartenausschnitt mit den Wegpunkten, die in der Wegbeschreibung weiter erläutert werden. Das hilft bei der Orientierung ungemein. Was ich vermisst habe ist aber die Angabe der Kilometer.
Der Unterschied zu bekannten Wanderbüchern: die Touren nehmen Bezug zu Sagen, besondere Orte wie Burgen, Höhlen oder andere interessante Orten. Zum Beispiel die Burg Falkenstein und Erimitenklause bei Brannenburg oder die Bergmandln, die das Gold in den Höhlen des Wendelsteins bewachen. Einige der Touren hatten wir selbst noch gar nicht auf dem Schirm. Das macht das Lesen durchaus spannend. Die Vorschläge sind insgesamt abwechslungsreich und teils gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.
Das Buch selbst ist zur Mitnahme fast zu groß. Das weiß auch der Verlag, der die GPS-Daten der Tour für die Leser zum Download bereit stellt. Gelesen wird also daheim, gewandert wird mit dem Garmin oder Smartphone. Ich habs ausprobiert und die Daten in OSMAND importiert. Die Tracks liegen nicht genau über den Wanderwegen. Das sieht etwas grob aus, aber zur Orientierung reicht es.
So viel Mystik steckt im Buch
Gleich zum Beginn erfährt der Leser eine kleine Einführung in das Thema Mystik. Kleemann schreibt, über seine Erfahrung und lädt den Leser ein, selbst emotionale Reaktionen auf den Wanderungen zu erfahren, ausgelöst durch die Natur oder besondere Orte. Das unterschreibe ich von hurra-draussen mit einem dicken Stift. Man muss sich schon auf seine Umwelt einlassen wollen, damit sie eine Reaktion hervorruft. Der Autor nutzt bei seinen Beschreibungen sehr bildhafte Worte, wenn er die Anderswelt sprachlich fassen und den Lesern emotional berühren möchte. Manchmal klingt dies etwas bemüht, wenn der Beschreibung einer schönen Wandertour mystischer Feenstaub verpasst wird, um den Buchkonzept gerecht zu werden.
Fazit: Mit Geschichten wandert es sich leichter
Wer ein schönes Buch mit inspirierenden Wanderungen sucht, hat mit „Mystische Pfade – Bayerische Hausberge“ seine Freude, besonders wenn man nicht nur eine Tourenbeschreibung, sondern zusätzlich eine Geschichte zur Tour erfahren möchte. Das werden besonders Familien zu schätzen wissen, die ihre Kinder mit spannenden Geschichten motivieren können, mehr zu erleben. Mehr Touren fürs Geld bieten die klassischen Wanderführer. Ich habe gerne beides und das Lesen und Blättern in den Buch genossen. Und natürlich sind wir draussen in der Natur und machen unsere ganz eigenen Erfahrungen mit der Anderswelt.
Die Kerze ist nun runtergebrannt, ein Kauz ruft in die Siedlung und Pelle unser Cockerpoo kommt zu mir und erinnert mich an unsere gemeinsame Runde am Grünanger. Im Hachinger Tal riecht es nach feuchtem Laub. Zeit die Seite zu wechseln (je rätselhafter geschrieben, desto mystischer).
Das Buch wurde mir vom Bruckmann Verlag zur Rezension kostenlos zur Verfügung gestellt. Meine Meinung ist davon aber nicht beeinflusst.
Mystische Pfade, Bayerische Hausberge
- Broschiert: 160 Seiten
- Verlag: Bruckmann Verlag GmbH; Auflage: 1 (29. Mai 2017)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3734305527
- ISBN-13: 978-3734305528
- Größe und/oder Gewicht: 16,6 x 1,7 x 23,3 cm
- Preis: 20 €
Mystische Pfade ist eine Wanderbuchserie, die es auch für das Allgäu, den Bayerischen Wald, die Eifel und das Elbsandsteingebirge gibt. Die Autoren sind jeweils unterschiedlich.